Statt auf die Politik zu warten, nutzen viele Unternehmen jetzt smarte KI-Lösungen, um hohen Energiepreisen zu trotzen. Wie das funktioniert.
Wenn es um Energiepreise geht, dann reden sich deutsche Konzernchefs oft schnell in Rage. Die Kosten für Strom und Gas seien so hoch, dass sie ein erfolgreiches Wirtschaften behindern würden. Maximilian Dekorsy aber sieht die Sache anders: "Unternehmen können auch komplett zum Gewinner der aktuellen Marktlogik werden", sagt der Gründer des Münchner Start-ups ecoplanet.
Auf sein eigenes Unternehmen trifft das jedenfalls zu: Im Vergleich zum vergangenen Jahr hat sich laut Dekorsy die Kundenzahl auf 80 Unternehmen verdreifacht, die Mitarbeiterzahl hat sich um mehr als die Hälfte auf 45 Mitarbeiter verdoppelt. Denn ecoplanet bietet Unternehmen, wonach sie so verzweifelt wie erfolglos bei der Politik bitten: Abhilfe bei steigenden Energiekosten - mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI).
ecoplanet ist damit ein Anbieter in einem Feld der Energiewirtschaft, das derzeit boomt. Software-Lösungen mit integrierter KI unterstützen Unternehmen nämlich dabei, ihren Energieverbrauch zu optimieren, Kosten zu reduzieren und gesetzliche Klimavorgaben zu erfüllen. Die Marktforscher von Mordor Intelligence rechnen damit, dass sich der weltweite Markt für Energiemanagement-Systeme bis 2029 auf 114 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln wird. Fortune Business Insights prognostiziert ein ähnliches Wachstum.
Laut Lisa Schmitt vom Institut für Energietechnik und Energiemanagement an der Hochschule Niederrhein wird die Möglichkeit, Energieflüsse in Echtzeit zu analysieren, "zunehmend zu einem entscheidenden Faktor." Michael Sterner, Professor an der Hochschule Regensburg, sagt: "Viele Industrieunternehmen haben bisher überhaupt kein Monitoring". Er sieht in modernen Energiemanagement-Systemen einen wirksamen Hebel für Unternehmen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
Nicht zu vergessen ist die politische Relevanz: Nach dem Energieeffizienzgesetz müssen Unternehmen mit einem jährlichen Gesamtenergieverbrauch von über 7,5 Gigawattstunden (GWh) ein Energiemanagementsystem nach der ISO-Norm 50001 einführen. Unternehmen mit einem jährlichen Gesamtenergieverbrauch zwischen 2,5 GWh und 7,5 GWh sind verpflichtet, Umsetzungspläne zur Verbesserung ihrer Energieeffizienz vorzulegen.
Immer mehr Unternehmen investieren deshalb in Software wie die von ecoplanet. Mittlerweile betreut das Unternehmen mehr als 2000 Standorte in ganz Deutschland, darunter solche der Autowerkstatt-Kette ATU oder des Autozulieferers Bilstein.
Und das mit teils bemerkenswerten Ergebnissen: "Einer unserer Kunden, ein großes deutsches Familienunternehmen, hat einen Prozess angepasst und konnte dadurch 37 Prozent der Energiekosten einsparen", so Dekorsy. Im Schnitt sparten seine Kunden zwischen 13 und 14 Prozent ihrer Energiekosten ein.
Der Blick auf Energie hat sich verändert
"Wir kommen historisch aus einer Situation, in der Verbrauch und Versorgung immer getrennt voneinander betrachtet wurden", erklärt Dekorsy. "Vor allem aus der Kombination der beiden Aspekte lässt sich aber eine zusätzliche Einsparung generieren."
Wollen Unternehmen in größerem Maßstab ihren Verbrauch senken, brauchen sie dafür zunächst einen Überblick über ihren aktuellen Verbrauch. "Die meisten Unternehmen bekommen bislang monatlich eine Rechnung und sehen dann, ob sie mehr oder weniger verbraucht haben", sagt der ecoplanet-Chef.
Mit der Software des Start-ups erhalten Firmen in einem Cockpit ein tägliches Update zu ihrem Energieverbrauch. Allein ein solcher "täglicher Newsletter" sei verglichen mit dem Status quo für die meisten Unternehmen ein "krasser Schub". Dekorsy sagt, mithilfe von aktuellen Daten könne die KI von ecoplanet besser Unregelmäßigkeiten oder Stromfresser entdecken.
Neben der Möglichkeit, einen Überblick über den gesamten Verbrauch eines Standorts zu bekommen, ist es oft auch möglich, den Energieverbrauch einzelner Maschinen zu erfassen. "Das ist sinnvoll, weil man so genau sehen kann, wo sich Energie effektiv einsparen ließe", so der ecoplanet-Chef. Dabei wird in der Regel jedoch zusätzliche Hardware nötig und die Kosten für den Kunden steigen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Unternehmen über die Software von Ecoplanet auch ihre Energiebeschaffung regeln können. Das Start-up agiert hier als Vermittler zwischen dem Unternehmen und dem Versorger. Eine KI beobachtet den Markt für Strom oder Gas, das Unternehmen kann in der ecoplanet-Software erkennen, zu welchem Tageszeitpunkt Energie günstiger ist. Firmen können dann reagieren, indem sie versuchen, einzelne Prozesse in kostengünstige Zeiträume zu verschieben und somit Kosten zu sparen.
Schmitt von der Hochschule Niederrhein sieht in dem Zusammenspiel zwischen der Optimierung des Energieverbrauchs und der Möglichkeit, die Beschaffung strategisch zu steuern, "einen wichtigen Vorteil in volatilen Märkten". Durch einen solchen integrierten Ansatz könnten Unternehmen demnach ihre Effizienz steigern.
"Diese beiden Extreme funktionieren für die meisten Unternehmen nicht mehr"
Kaufen Firmen beim Versorger Energie für die nächsten drei Jahre ein, laufen sie Gefahr, zu viel dafür zu zahlen. Nutzen Unternehmen für ihren gesamten Energieverbrauch einen flexiblen Tarif, der sich am Börsenpreis orientiert, sind sie beispielsweise in Zeiten von geopolitischen Unruhen den Marktpreisen völlig ausgeliefert. "Diese beiden Extreme funktionieren für den großen Teil aller Unternehmen nicht mehr", so der Start-up-Chef.
Deshalb erarbeiten Unternehmen mit ecoplanet meist eine Beschaffungsstrategie, bei der beispielsweise nur rund 30 Prozent des Energieverbrauchs flexibel eingekauft werden. Um Risiken zu minimieren, läuft der Rest über strukturierte Beschaffung. Um die offenen 70 Prozent zu decken, kaufen Unternehmen beim Versorger über die ecoplanet-Software beispielsweise zu sieben Zeitpunkten im Jahr 10 Prozent ein. "Das ist der Mittelweg, den wir in der Regel vorschlagen", sagt Dekorsy.
Für wen lohnt sich eine Energiemanagement-Software?
Viele Prozesse, gerade in Industrieunternehmen mit klassischen Schichtbetrieben, lassen sich nicht beliebig verschieben. Software wie die von Ecoplanet bietet sich an, wenn bestimmte Maschinen flexibel sind und in Zeiträumen laufen können, in denen Energie vergleichsweise günstig ist.
Dekorsy sagt: "Wir kennen Unternehmen, bei denen 70 Prozent des Energieverbrauchs an einem Standort über den Produktionsprozess und 30 Prozent über eine Waschanlage kommen, die man relativ flexibel einsetzen kann". So könne das Unternehmen den Verbrauch entsprechend verschieben und von günstigem Strom in den Mittagsstunden profitieren. "Die Kosten für unsere Kunden amortisieren sich in der Regel schon in den ersten sechs Monaten", sagt Dekorsy. Auch bei politischen Vorgaben biete das Start-up Unternehmen Entlastung. Mit der ecoplanet-Software können seine Kunden demnach einen großen Teil der Arbeit bei der ISO-Norm 50001 reduzieren: "Das ist eine riesige Zusatzbelastung für Unternehmen, die dafür keine Kapazität haben", so der ecoplanet-Chef.
Unabhängig von der Branche lohne sich laut Sterner von der OTH Regensburg eine Energiemanagement-Software für alle Unternehmen, bei denen die Energiekosten über zehn Prozent ihrer laufenden Kosten abbilden. Laut Energie-Expertin Schmitt kann sich eine solche Software vor allem für Unternehmen aus energieintensiven Industrien wie Glas, Chemie oder Stahl lohnen. Aber auch für Logistikunternehmen, Rechenzentren oder Einzelhändler mit großen Filialnetzen könne sie sinnvoll sein.
Volatilität als Geschäftsmodell? Das erwarten Experten für die Zukunft
Unternehmen wie ecoplanet haben Preisschwankungen an den Energiemärkten zu ihrem Geschäft gemacht: "Die Volatilität ist der Treiber unseres Produkts", sagt Geschäftsführer Dekorsy. Im Rahmen einer Series-A-Finanzierungsrunde hat ecoplanet im Januar 16 Millionen Euro eingesammelt. Zusammen mit zwei früheren Finanzierungsrunden im Jahr 2023 beläuft sich das eingesammelte Kapital auf 22 Millionen Euro.
Das Münchner Start-up will weitere Märkte in Europa erschließen, in denen die Volatilität und der Anteil erneuerbarer Energien ähnlich groß seien wie in Deutschland: "Wir wollen im nächsten Jahr nach Spanien und Italien expandieren".
Fabian Dawin, Energie-Experte bei der Unternehmensberatung Advyce & Company, erwartet, dass "angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und der Bedeutung von Flexibilität in einem erneuerbaren Energiesystem" der Bedarf für Software-Lösungen im Energiemanagement weiter steigen werde. Expertin Schmitt rechnet damit, dass Energiepreise auch in Zukunft ein entscheidender Wettbewerbsfaktor für deutsche Unternehmen bleiben: "Die Abhängigkeit von globalen Energiemärkten, die Unsicherheit durch geopolitische Krisen sowie der CO?-Preis im Zuge der Energiewende werden Unternehmen weiterhin vor Herausforderungen stellen".
Zudem bleiben Anforderungen wie die Nachweispflichten im Rahmen der "Environmental, Social und Governance (ESG)"-Berichterstattung laut Schmitt relevant: "Anforderungen wie diese treiben die Nachfrage nach Software-Lösungen weiter an". Auch politische Entwicklungen dürften den Bedarf nach Energiemanagement-Software also weiter verstärken.
Den Artikel der WirtschaftsWoche finden Sie auch hier: WirtschaftsWoche
WirtschaftsWoche, Artikel vom 26.04.2025, von Gürsoy Gökay